Freitag, 20. Oktober 2017

Hinter den Mauern von Stammheim

Wie ihr, meine Leser/innen, wisst, habe ich 2013 den Krimi Die Affen von Cannstatt geschrieben.

Er erzählt von der Untersuchungshaft einer Unschuldigen im Frauengefängnis Schwäbisch Gmünd. Seit zwei Jahren bin ich Gefängnisbeirätin für die JVA Stuttgart (Stammheim). Dieser Beirat kommt übrigens im Krimi nicht vor, weil ich keine Ahnung von seiner Bedeutung hatte, als ich ihn schrieb.

Gefängnisbeiräte werden von Parteien entsandt, vom Justizministerium nominiert und dann vom Gemeinderat gewählt. Sie sind das Auge und Ohr der Öffentlichkeit hinter den durch mehrfache Türen und Schleusen abgeschlossenen Mauern eines Gefängnisses. Wir treffen uns einmal im Monat mit Vertretern der Gefangenen, die in einem Untersuchungsgefängnis alle drei Monate je Stockwerk gewählt werden. In Stammheim treffen wir uns in eben jenem siebten Stock in einer der größeren Zellen, die einst von den RAF-Terrotisten bewohnt wurden und wo sie sich umgebracht haben. Übrigens bis heute ein Ereignis, das die Wachbeamt/innen sehr beschäftigt.


Der alte Trakt von Stammheim mit den
bekannten schrägen Fenstern
Alter Verwaltungstrakt, unser monatlicher Weg zu
den Gefangenen
Sie hatten größere Zellen als andere Gefangene, weshalb einer zu einem Raum mit Tischen und Stühlen umgewandelt wurde, wo Jugendliche unterrichtet werden und wo wir uns mit den Gefangenenvertretern treffen. Die dürfen absolut vertraulich jede Beschwerde vortragen, die sie haben. Anschließend werden alle Kritikpunkte (meist "Essen ist schlecht", "beim Einkauf gibt es kein Olivenöl (weil in Glasflaschen)", "beim Arzt müssen wir stundenlang warten", "die Duschen funktionieren nicht" etc.) mit der Anstaltsleitung besprochen, fast immer mit dem Leiter, Herrn Nagel. Wir bekommen auch Akten von allen Vorkommnissen vorgelegt, von Mauerwürfen von Handy und Drogen, Fluchtversuchen, Prügeleien und Selbstmorden. Dank aller Gefängnisbeiräte kann in Gefängnissen nichts auf Dauer heimlich und verborgen bleiben. Deshalb sind wir wichtig.

Stammheim ist ein fünfzig Jahre altes Gefängnis, die Zellen entsprechen nicht mehr dem modernen Standard und sie sind hoffnungslos überbelegt (für 500 U-Häftlinge gedacht, von 700 belegt), weshalb man einen Neubau nebendran gebaut hat. Ursprünglich sollten alle Gefangene dorthin umziehen, weil aber die Zahl der Einsitzenden so hoch ist, bleibt auch das alte Gebäude nun doch noch in Betrieb. Heute war Übergabe des Neubaus an den Gefängnisdirektor Nagel und Besichtigung für ausgewählte Gäste. (Die Reden hielten unter anderem Minister Wolf und Bürgermeister Wölfle).

Zellentür, meist verschlossen
Normalerweise darf niemand eine JVA mit einem Handy in der Tasche betreten. Auch wir nicht. Aber heute standen die Tore offen und die Handy wurden uns nicht abgenommen (weil wir ja keinen Kontakt mit den Gefangenen hatten), weshalb ich Fotos gemacht habe, was das Zeug hält. Und weil man normalerweise nicht in eine Gefängnis kommt, zeige ich die Fotos hier und erkläre ein bisschen was dazu.

Hier ein Blick in moderne recht große Zellen. Anstaltskleidung wird gestellt, Socken, Jeans, Hemden, Wäsche, ebenso Putztücher und Decken etc. Noch immer wird aus Blechnäpfen gegessen. Das Besteck ist aus Sicherheitsgründen aus Plastik. Einen Fernseher gibt es immer, und zwar mit dem Hausprogramm und Infotexten. Aber fast alle mieten dazu ein Satellitenprogramm für ziemlich viel Geld. Neu gegenüber dem Altbau ist, dass die Toilette und das Waschbecken durch eine Wand mit Tür abgeschlossen ist. In den alten Zellen steht das Klo neben der Tür ohne Wand herum, und das Waschbecken hängt einfach so an der Wand. Wenn Wärter eintreten, erwischen sie Gefangen so manches Mal in einer entblößten Situation, in der die sich eigentlich nicht zeigen wollen.

U-Häftlinge sind eigentlich 23 Stunden auf ihren Zellen. Es gibt eine Stunde Hoftang. In Stammheim bemüht man sich jedoch, Häftlinge in Arbeit zu bringen. Ein Drittel arbeiten derzeit, meistens als Reiniger (sie putzen die Zellen), in der Küche, in der Wäscherei oder in der Schneiderei. Ziel ist, allen, die arbeiten wollen, künftig Arbeit anbieten zu können. Ein Recht auf Arbeit haben U-Häftlinge nicht. Aber es hilft ihnen aus der Isolation, es hält sie vom Dauerliegen vor dem Fernseher, vom essen, rauchen und onanieren ab. Zu den Mahlzeiten werden die Zellentüren aufgeschlossen, genauso für den Hofgang (eine Stunde). Außerdem gibt es den Umschluss, das heißt, Gefangene können sich für eine Stunde bei einem anderen Gefangenen einschließen lassen. Der Neubau hat außerdem Abteilungsküchen. Wir sind gespannt, ob die Gefangen dann dort auch kochen können und welche Konflikte sich aus dreckigen Töpfen ergeben.

Sporträume, Andachtsräume und Höfe gibt es auch. Die Höfe wurden von Gefangenen künstlerisch gestaltet. Die Bänke und Leuchten ergeben jeweils Sternzeichen. Beim Hoftang lassen sie sich zum Sitzen nutzen. Es gibt ein Reck und für heiße Sommertage Duschen. Diese Höfe sind übrigens fern der Mauern, sodass es schwierig wird, von außen ein Handy oder Drogen hineinzuwerfen.


Duschen haben die Zellen nicht. Gefangen dürfen nur zwei mal die Woche duschen, weil dafür jeweils Personal abgestellt werden muss. Platz hat dieser Duschraum für drei Duscher. Die anderen warten solange auf Bänken, bis sie dran sind.

Auffällig ist, dass Wände und Böden hier oft grün gestrichen sind. Grün soll ja beruhigen. Die Zellentüren sind schwarzbraun, die Gitter, am Anfang und Ende aller Gänge sehen hier nicht mehr gittermäßig aus, sondern wie eine Glastür mit Zierleisten.

Das Rote ist das Büro Abteilungsbeamten, das jedes Stockwerk hat. Auch das ist jetzt größer als die alten Büros im alten Gebäude. Und auf dem Foto sieht man rechts unten auch die Gegensprechanlage mit dem Alarmknopf, die sich in jeder Zelle befindet. Es kann also jeder Gefangene einen Beamten rufen, wenn irgendwas ist.

Das Leben in U-Haft ist sehr kompliziert und für alle stressig. Vor allem deshalb, weil jeder U-Häftling als unschuldig zu gelten hat, jedoch eine heftige Beschränkung seiner Freiheitsrechte erfährt, viel strenger als ein verurteilter Gefangener im Strafvollzug. (Besuch nur alle zwei Wochen und nur von der Familie, Einkauf alle zwei Wochen, keine Telefongespräche, Kontaktverbote). Deshalb ist eine würdige Unterbringung nötig, egal, wofür die Menschen später verurteilt werden. Zumal es ja auch sein kann, dass hier mal jemand unschuldig monatelange einsitzt.